Die Po-Ebene, Italiens fruchtbarstes Gebiet. Sie mag in ihrer Unabsehbarkeit ein wenig eintönig sein, und doch bietet sie dem, der sie mit offenen Augen durchfährt, viele reizvolle Fernblicke in das italienische Wesen.
Man staunt über die Sorgfalt mit der die Felder bestellt sind, und die restlose Ausnützung jeden Quadratmeters Land. Der Po aber ist der Lebensspender. Ohne seine Wasser müssen die Felder verdorren, würde die schattenlose Ebene unter den sengenden Sonnenstrahlen verbrennen.
Die Zahl der Städte, die ihr Entstehen der Fruchtbarkeit des Landes verdanken, ist groß. Da ist Mailand, Italiens ?zweite Hauptstadt", an erster Stelle zu nennen. Einst Sitz römischer Kaiser, im Mittelalter Ziel zahlreicher Beutezüge, hat es sich heute zum machtvollen Zentrum von Industrie und Wirtschaft entwickelt. Auch Turin, die piemontesische Hauptstadt, ist als Schwerpunkt industrieller Erzeugung, doch ebenso wegen seiner bezaubernden Modeschöpfungen, bedeutungsvoll. Selbstverständlich findet man hier wie dort zahlreiche Zeugen einer alten Kultur — es sei hier nur an den Dom zu Mailand und an den Campanile der Consolata in Turin erinnert, dennoch weht gerade in diesen beiden oberitalienischen Städten besonders deutlich spürbar der Wind des 20. Jahrhunderts.
Wie anders bietet sich Venedig dar, das Ziel der Romantiker und Liebenden! Linst stolzer Staat, von Dogen klug regiert, reich und mächtig, ist es heute fast einem Museum für schöne Erinnerungen vergleichbar. Wo man hinblickt, bezaubert das Edle, Schöne, Seltsame. Die frische Brise allerdings, die über die Lagunen weht und vom Meer her den herben Duft von Tang und Salz über die Stadt breitet, sorgt dafür, dass das ,,Museum" keinen Staub ansetzt. Nietzsche schrieb an einen Freund: ?Wenn ich ein anderes Wort für Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig."
Verena, eine der ältesten Städte Italiens, dessen Bürger als Miliztruppen schon 216 Jahre vor Christi Geburt an der Schlacht von Cannae teilnahmen, liegt an der Etsch und ist dennoch im weiteren Sinne der Po-Ebene zugehörig. Hier findet man die zahlreichen Spuren einer machtvollen Vergangenheit, so mitten in der Stadt die in der Zeit der römischen Kaiser errichtete Arena, das römische Theater oder die Prunktore, die Ruinen der Burg Theoderichs, den wir als Dietrich von Bern aus der Sage kennen, hier erinnern wir uns an die Veroneser Klause, mit der der Rückweg Kaiser Barbarossas von Rom verriegelt werden sollte, und jener glücklichen Zeit unter der Herrschaft der Scaliger, da Verena zu den mächtigsten Städten der damaligen Welt zählte, und dem sich Vicenza, Padua und Treviso unterwerfen mussten.
Später gehörte die Stadt der Republik Venedig an, bis sie 1797 das Schicksal der Lagunenstadt teilte und Bestandteil des österreichischen Staates wurde. Kurz zuvor hatte es sich gegen Napoleon erhoben, und 25 Jahre später beherbergte es den Fürsten Metternich in seinen Mauern, 1866 wurde Verona nach blutigen
Kämpfen dem italienischen Königreich zurückerobert. Ein paar Stichworte — und doch ein Spiegel des Wechselvollen Schicksals, dem die Apennin-Halbinsel in Jahrtausenden unterworfen war.
Eigentlich müsste man nun von der Bologneser Küche, von den trinkfreudigen Bürgern Bergamos, von dem Dom zu Modena, dem vollkommensten Beispiel romanisch-lomhardischer Baukunst, oder jenem von Parma, der Stadt des würzigen Parmesan-Käses, sprechen, man dürfte Pavia, Cremona oder Vicenza nicht verschweigen, oder Ravenna, wo das eindrucksvolle Grabmal Theoderichs steht.